Ich bin ein großer Fan von Erica Synths analogen Effekten. Die sind nicht nur ganz "sweet spot", sondern gehen sehr auch gerne "over the top"(wie der Jomox Resonator, der auch gebändigt werden will/muss). Den Nightverb habe ich wirklich sehnsüchtig erwartet und nun steht er da: Robust verarbeitet, solide und wunderschön.
Entgegen meiner Erwartungen aber hat mich der Algorithmus leider kalt gelassen, sehr artifiziell und irgendwie emotionsfrei, unbunt. Gut, meine Erwartungen waren hoch, 570€ ist ja auch ne Menge für ein Desktop-Effektgerät mit einem Algorithmus und - wie sich zeigte - limitierter Einsatzmöglichkeit.
Vielleicht bin ich auch einfach zu untertalentiert, die Parameter zu bedienen. (Bei anderen Effektpedalen Strymon/Eventide ist mir das aber überraschender Weise immer gut gelungen.) Es gibt da z.B den Parameter "Spin": Der Einfluss ist leider ganz subtil - und ganz untypisch für erica synths (altersmilde oder gar altersmüde?). Der Zusammenhang zwischen "Shape" und "Size" hat sich mir leider auch nicht vollständig erschlossen.
Wie sich die Parameter unmittelbar nach Wählen eines Patches verschrauben lassen. blieb unklar (ein Bug?): Bei den meisten Parametern nur einen irgendwie unvollständigen Parametereingriff. Ich musste immer erst am "Size"-Regler drehen oder den gespeicherten "Size"-Parameter abholen (je nach "Pot" Funktionseinstellung im Menü), bevor auch alle anderen Hallparameter zuverlässig verschraubbar wurden. Aber dann hatte ich ja jedesmal den Size-Parameter schon rausgedreht. Völlig verwirrend.
Das Display ist deutlich und sehr übersichtlich, das Menü leicht zu bedienen, aber bisher im Umfang noch vergleichsweise dürftig und voller Schreibfehler. Hier könnte in Bezug auf Funktionalität (nicht notwendigerweise in Bezug auf Schreibfehler - die sind lustig) mit Updates nachgebessert werden, und warum z.B. so funktionell überlappende Funktionen wie "USB backup" und "USB manage"?
Es ist 2024, und die Engines in den Effektgeräten sind generell sehr potent. Der Klang ist ja auch sehr brillant und breitbandig und ohne merkliches Rauschen. Die Rechenpower der Engine wird aber nach meinem Gefühl nicht ausgereizt. Der Algorithmus ist vielleicht bewusst so "schwach" - aber dann doch bitte wenigstens mit mehr "tweaking to the extremes!" So ist es weder "retro vintage" noch "powerful", eher so'n RasberryPi/Arduino-Style Projekt.
Ich habe es jetzt übers Wochenende an verschiedenen Quellen: Drum Machines, Gesang, field recording, polyphone Synthesizer und Modularsystem betrieben und ich kann leider nicht erkennen, für welchen Einsatzzweck es wirklich gut geeignet ist. Wie gesagt, es klingt sehr unnatürlich und wäre vielleicht gut für Effektsounds und experimental geeignet, wäre da nur die Möglichkeit, die Parameter mal wirklich fett zu verschrauben.
Die Equalizer in der Ausgangsstufe packen allerdings sehr gut zu und "Low Damp" und "Hi Damp" lassend über einen großen Bereich wirkungsvoll und klanglich gut einstellen. Die Eingangsstufe ist auch prima; die kann man klanglich sehr gut sättigen. Gut gemacht.
Die bisher viel beworbene "Freeze"-Funktion fasziniert hingegen genau einmal eine halbe Stunde; danach wird es langweilig. Die entstehende Drone, hat mich klanglich leider nicht überzeugt. Sie ist aufgrund der "Matschigkeit" auch schlecht nachgeschalteten Effekten zugänglich. (Bin ja mal gespannt, ob sich jemand erlaubt, diese Freeze-drone mal in einem Mix anzuwenden, oder ob es bei einem Achtungserfolg im Heimstudio bleibt.) Der Size-Parameter lässt sich per MIDI tonal spielen. Das klingt im Freeze-Mode aber leider überraschend uninspiriert und nicht besonders effektvoll. Da bieten meine Hardware vintage Harmonizer deutlich mehr Musikalität (für kleineres Geld). Aber im normalen Betrieb, wenn man Noten über einen Synthesizer einspielt, der gleichzeitig auch die Midinoten sendet, gibt es hingegen einen sehr interessanten Effekt (nur für monophone Synths probiert). Allerdings scheint sich durch die MIDI-Steuerung von "Size" die Farbigkeit des eigentlich schon recht unfarbigen Algorithmus schlagartig deutlich zu verschlechtern - MIDI-Stecker raus und das Licht geht wieder an.
Vielleicht hilft hier insgesamt ein signifikantes Firmware Update. So lange mag ich nicht warten.
Für die Unboxing-Fetischisten: Mit dem Verpackung Sparen hat es erica synths hier eindeutig übertrieben. Das Gerät liegt ungeschützt in einer Art sich selbst auflösendem Eierkarton. Dementsprechend was das Teil beim Auspacken schon über und über mit Papierfasern überzogen, die sich, Elektrostatik sei Dank, nicht einfach wegpusten ließen. Wohin auch? Solche "Fussel" will keiner im Studio haben. Erst mal draußen nach einem elektrostatisch kompetenten Katzenfell suchen...
Mein Fazit: Erwartungen wurden bisher leider nicht erfüllt. Wer einen natürlichen oder realistischen Hall oder gar ein "Universal-Hallgerät" sucht, schaut hier vergebens.
Ich sende das Gerät morgen zurück. (Immer wieder Danke an Thomann für diese prima Möglichkeit, die Geräte zu Hause in Ruhe zu testen.) Mein betagtes Eventide Space mit seinem "braunen" Klang ist jetzt eine wahre Wohltat für die Ohren nach den harschen Erlebnissen mit dem Nightverb.